Stadtnaturschutz

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Naturzerstörung in Hamburg

Hamburg treibt Raubbau an seiner Natur. Der Verbrauch von Grün- und Freiflächen hat sich im letzten Jahrzehnt verdoppelt. Jährlich wird im Mittel fast die zweifache Fläche der Außenalster bebaut und versiegelt. In jedem Jahr verliert Hamburg mehrere tausend Bäume, die ersatzlos gefällt werden. Seitdem der Senat 2001 beschloss, in Hamburg "wucherndes Grün zügig zu beseitigen", sind große Teile der natürlichen Strauch- und Krautvegetation öffentlicher Grünflächen systematisch ausgeräumt worden. Zurück bleiben totgepflegte, durchsichtige Parks und kahlgeschorene Straßenrandstreifen, die in letzter Zeit zunehmend mit Basaltschotter oder schwermetallhaltiger Kupferhüttenschlacke abgedeckt werden. Bei anhaltender Klimaerwärmung droht eine Stadt mit immer weniger Grün zur gefährlichen Hitzefalle zu werden. Gesundheit und Lebensqualität der Menschen stehen auf dem Spiel.

Grün- und Freiflächenverbrauch

Von 2002 bis 2007 hat sich die Siedlungs- und Verkehrsfläche in Hamburg um durchschnittlich 283 ha pro Jahr auf Kosten von Landwirtschaft und Freiräumen vergrößert. Das ist fast die doppelte Fläche der Außenalster – jedes Jahr. Damit überschreitet Hamburg bisher vorgeschlagene Zielwerte (23 ha, 66 ha) um ein Mehrfaches (Zukunftsrat Hamburg 2008). Hamburg [hat] in den letzten Jahren den höchsten Flächenverbrauch aller deutschen Großstädte zu verzeichnen (Hamburger Umweltverbände 2011).

Grün- und Freiflächenerbrauch werden unter der gegenwärtigen Landesregierung - bei verstärktem Einfluss der Handelskammer - weiter beschleunigt. Führende Regierungspolitiker instrumentalisieren derzeit den Wohnungsbau gegen den Naturschutz in Hamburg. Grünflächen sollen auch gegen den Bürgerwillen bebaut werden. Mit dem Vertrag für Hamburg – Wohnungsneubau: Vereinbarung zwischen Senat und Bezirksämtern zum Wohnungsbau wurden die administrativen Voraussetzungen dafür geschaffen, Bürgerentscheide, die sich für den Naturschutz auch bei Wohnungsbauvorhaben einsetzen, von vornherein unmöglich zu machen.

Gleichzeitig unterbreitet die Handelskammer Hamburg Vorschläge für die Entwicklung neuer Gewerbeflächen in Hamburg auf einer Gesamtfläche von 572 Hektar. Mehr als die Hälfte, nämlich 290 Hektar der zur Gewerbenutzung vorgeschlagenen Flächen sind derzeit als Landschaftsschutzgebiete ausgewiesen und meist von hohem ökologischen Wert. Zur Ausschaltung eines möglichen Bürger-Widerstands auf Bezirksebene empfiehlt die Handelskammer die Wahrnehmung der Planungshoheit durch den Senat im Rahmen eines Gewerbeflächenentwicklungsprogramms.

Ausräumung der natürlichen Bodenvegetation

Die flächenhafte Beseitigung der Spontanvegetation in Hamburg nimmt in der auf Sicherheit und Sauberkeit in der Stadt ausgerichteten Politik des Senats seit 2001 einen wichtigen Platz ein. Wildkräuter im öffentlichen Raum werden in den Verlautbarungen des Senats durchwegs als etwas Unsauberes und Störendes dargestellt und jeweils in einem Atemzug mit Hundekot, Taubenkot, Müllablagerungen und Graffiti genannt. Für die "Wildkraut-Bekämpfung" wurden in der letzten Dekade Millionen von Euro an öffentlichen Geldern ausgegeben (z.B. Bürgerschafts-Drucksache 17/2231, S. 7 und 14). Grünpaten werden von den Bezirken systematisch zur Wildkraut-Entfernung aufgefordert. Und Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger werden über Beschäftigungsgesellschaften dazu angehalten, Wildkräuter im öffentlichen Raum bis auf den nackten Erdboden auszuräumen. Schon wegen des Einsatzes vorherrschend unqualifizierter Arbeitskräfte muss damit gerechnet werden, dass überall in Hamburg auch geschützte Wildkräuter flächenhaft entfernt werden.

Da die Wildkräuter der Stadt mit ihrer Kleinfauna ein wichtiges Basisglied in der Nahrungspyramide des städtischen Ökosystems darstellen, verstößt ihre systematische Ausräumung gegen geltende Naturschutzgesetze.

So ist es nach § 39 Absatz 1 Bundesnaturschutzgesetz verboten,

2. wild lebende Pflanzen ohne vernünftigen Grund von ihrem Standort zu entnehmen oder zu nutzen oder ihre Bestände niederzuschlagen oder auf sonstige Weise zu verwüsten, 3. Lebensstätten wild lebender Tiere und Pflanzen ohne vernünftigen Grund zu beeinträchtigen oder zu zerstören.

Und nach § 2 Absatz 4 Bundesnaturschutzgesetz gilt:

Bei der Bewirtschaftung von Grundflächen im Eigentum oder Besitz der öffentlichen Hand sollen die Ziele des Naturschutzes und der Landschaftspflege in besonderer Weise berücksichtigt werden.

Versiegelung offener Böden im Grünbereich

Um das Wachstum von Wildkräutern im öffentlichen Raum zu verhindern und so die Kosten für deren Beseitigung zu sparen, werden unversiegelte Flächen an Straßen und auch in Parkanlagen zunehmend mit Gesteinsmaterial abgedeckt und versiegelt.

Weit verbreitet ist das Aufbringen und anschließende Verdichten von Gemischen aus Split, Brechsand und Füller (Gesteinsmehl), wie sie im Wegebau für Wassergebundene Decken verwendet werden. Wassergebundene Decken sind stark verdichtet, Regenwasser dringt nicht in sie ein, sondern fließt fast komplett seitlich ab. Der Anteil des Niederschlages der aufgrund der Versiegelung nicht durch den Boden unmittelbar aufgenommen werden kann beträgt bei Wassergebundenen Decken ... 80 %. Die Versiegelung durch Wassergebundene Decken wird vielfach bis unmittelbar an Bäume und deren Wurzelbereich herangeführt.

Auch sortierter Gesteins-Splitt und -Schotter wird in letzter Zeit auf Plätzen und an Straßenrändern auf bisher mit Straßenbegleitgrün bedeckten Seitenrandstreifen und Baumscheiben ausgebracht. Bei dem Gesteinsmaterial handelt es sich meist um schwarzgrauen Basalt (Fruchtallee, Fanny-Mendelsohn-Platz, Falkenried-Quartier), gelegentlich um Lapilli, also erbsen- bis nussgroßes vulkanisches Auswurfsmaterial (Hallerplatz). Zunehmend wird inzwischen auch mit Schwermetall und Arsen belastete, schwarzgraue Kupferhüttenschlacke ("Affi-Schlacke") auf Straßenrandstreifen und Baumscheiben (Billhorner Brückenstraße, Kreisverkehrsplatz bei der U-Bahnstation Lutterothstraße) und in Parkanlagen (Hammer Park) abgelagert.

Die Schotter sind oft mit einer Vliesmatte unterlegt, offenbar um das Wachstum von Wildkräutern zusätzlich zu verhindern.

Die fortschreitende Versiegelung bisher offener, mit Vegetation bestandener Flächen und ihre Abdeckung mit Vliesmatten und schwarzgrauem Gestein schaden nicht nur der städtischen Biodiversität und Lebensqualität, sie haben auch erhebliche negative Auswirkungen auf das mit der globalen Erwärmung zunehmend aufgeheizte Stadtklima und auf die Abflussmengen der damit verbundenen Starkniederschläge.

Ausräumung der Strauchvegetation

Das naturzerstörende Handlungskonzept zur Verbesserung von Sicherheit und Sauberkeit in der Stadt, das unter der Regie der Partei Rechtsstaatlicher Offensive des Ronald Schill entworfen und in den Folgejahren bis heute als Qualitäts-Offensive Freiraum fortgeführt wurde, hatte auch die Ausräumung eines Großteils der Strauchvegetation in Hamburg zur Folge. Die massive "Säuberung" der Stadt von ihrer natürlichen Vegetation löste anfangs noch Empörung aus und ist in Presseartikeln und Bürgerschafts-Drucksachen dokumentiert, so etwa in einem Artikel der Tageszeitung (taz) vom 19.11.2003, wo es hieß:

Weil sich der Senat die Verbesserung der Sicherheit und Sauberkeit der Stadt vorgenommen hat, roden die Bezirke vielerorts das Buschwerk an Straßenrändern. Als die GAL Nord entsprechende Pläne zu sehen bekam, reagierte sie schockiert. "Mit der Rodung würden wir weitere biologisch wertvolle Kleinflächen verlieren"

Und in einem Antrag zum Haushaltsplan-Entwurf 2004 rügte die SPD-Bürgerschaftsfraktion am 8.12.2003 den Hamburger Senat wegen seiner

Politik, Büsche und Bäume an Straßenrändern rauszureißen und keine Straßenbäume mehr nachpflanzen zu lassen ... Gleichzeitig wird den Bezirken in einer Globalrichtlinie der Kahlschlag am Straßenbegleitgrün und Aussaat von Rasen diktiert.

Die Erhöhung der visuellen Transparenz ... durch z.B. Auslichten der Gehölzbestände ist heute fester Bestandteil der täglichen Entgrünungspolitik in Hamburg.

Exzessiver Baumschnitt

Baumschnittarbeiten werden in Hamburg vielfach unter Nichtbeachtung einschlägiger fachtechnischer und naturschutzgesetzlicher Vorschriften durchgeführt. Nach den geltenden Richtlinien - etwa der ZTV Baumpflege - ist ein Lichtraumprofil von lediglich 2,5 m über Fußwegen und 4,5 m an Straßen mit Autoverkehr freizuhalten. In der Praxis sieht man jedoch an Hamburger Straßen inzwischen allenthalben Aufastungen bis zu 8 – 10 m Höhe. Und auch Parkbäume werden überall ohne Notwendigkeit meterhoch ihrer Äste beraubt.

Weitgehend unbeachtet bleibt auch die Vorschrift, Starkäste nur in begründeten Ausnahmefällen abzuschneiden, weil das Anschneiden des Kernholzes in der Mehrzahl der Fälle zur irreparablen Baumschädigung führt.

Baumschädigend, biotopschädigend und unästhetisch ist darüber hinaus der verstümmelnde Baumschnitt, der an den Ufern Hamburger Gewässer zu beobachten ist.

Die Nichtbeachtung von Naturschutzbelangen manifestiert sich auch in der Durchführung der meisten Baumschnittarbeiten während der Brutzeit.

Übermäßige Baumrodungen

Hamburg verliert jährlich netto rund 3.000 Bäume allein im öffentlichen Raum. Diese Quote hat sich in den letzten Jahren weiter gesteigert, nicht zuletzt wegen der Rodung tausender von Bäumen für die Gartenschau igs 2013 und die Bauausstellung IBA Hamburg.

Zerstörung von Biotopen und Biotopvernetzungen

Das Beispiel igs / IBA / Wilhelmsburg macht besonders deutlich, wie rücksichtslos mit der Natur in Hamburg umgegangen wird. Hier wurde nicht nur weit mehr als die Hälfte der ursprünglichen Vegetation vernichtet. Auch wertvolle, naturnahe Marschenbiotope wurden großflächig zerstört, darunter solche, die aufgrund ihrer Fauna in Gutachten zuvor als besonders schutzwürdig erkannt waren. Durch die Aufschüttung von Abraum vom Aushub des DESY-Beschleunigerrings und des U4-Bahnbaus in der Hafencity wurden die Bodenfunktionen ausgedehnter Marschenflächen auf dem igs-IBA-Gelände ohne jeden Ausgleich vernichtet. Grundwasserabsenkungen durch die zahlreichen Baumaßnahmen führen zum biologischen Abbau organischer Weichschichten und damit zur Freisetzung von klimarelevantem CO2 und N2O (Lachgas).

Ein weiteres Beispiel geplanter Biotopzerstörung ist das Bebauungsplanverfahren Lokstedt 59. Es soll die weitgehende Abholzung und Bebauung des Willinks Parks ermöglichen. Dieser heute naturnahe Rest eines ehemaligen Landschaftsparks aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ist nach der amtlichen Hamburgischen Biotopkartierung ein ökologisch besonders wertvoller Waldbiotop mit hoher Biodiversität und erheblicher Bedeutung für den regionalen Biotopverbund. Mitte Januar 2012 wurde ein Bauzaun um den Waldbiotop errichtet.

Gefährdet sind nach wie vor Teile des ökologisch wertvollen Grünzugs am Isebekkanal in Hamburg-Eimsbüttel, einem wichtigen Teil des innerstädtischen Biotopverbundsystems. Hier waren zunächst (2006) umfangreiche Abholzungen, Versiegelungen und Bebauungen für eine Ise-Promenade vorgeschlagen worden. Als 2008 eine konkrete Großbebauung und umfangreiche Gehölzrodungen drohten, konnten diese Maßnahmen vorübergehend durch ein erfolgreiches Bürgerbegehren gestoppt werden. Nach einer "Scheinübernahme" des Bürgerbegehrens durch die Bezirksversammlung und erneuten Versuchen des Bezirks, die am Isebekkanal geplante Großbebauung durchzusetzen, sprachen sich ein zweites Bürgerbegehren und ein anschließender Bürgerentscheid insbesondere für den Erhalt der Biotopvernetzung zwischen dem Isebek-Grünzug und einem südlich anschließenden, ökologisch wertvollen Grünzug entlang der U-Bahnstrecke aus. Der am 1. Juli 2010 mit überwältigender Abstimmungsmehrheit angenommene Bürgerentscheid zugunsten des vollständigen Biotoperhalts am Isebekkanal wurde im Mai 2011 durch das Bezirksamt Eimsbüttel rechtswidrig "ausgehebelt". Die Biotopvernetzung des Isebek-Grünzugs mit den südlich anschließenden Grünzügen wird damit zerstört.

Die Isebek-Initiative hat indes vorgeschlagen, wenigstens die ökologisch wertvollen Ufergehölzsäume am Isebekkanal als Geschützten Landschaftsbestandteil unter den besonderen Schutz des § 29 Bundesnaturschutzgesetz zu stellen.

Minderung des städtischen Grünvolumens

In der letzten Dekade ist in Hamburg das Grünvolumen, d.h. das Produkt von vegetationsbestandener Fläche und Vegetationshöhe, offenbar dramatisch reduziert worden. Während andere deutsche Großstädte, wie etwa Potsdam, regelmäßig das für das Stadtklima so wichtige Grünvolumen ihres Territoriums im Rahmen eines Umweltmonitorings ermitteln, verzichtet Hamburg bisher darauf, obgleich die Fernerkundungs- und Fachdaten dazu seit Jahrzehnten vorliegen.

Unterversorgung mit Grünflächen

Grundlage einer nachhaltigen Stadtentwicklung ist heute das Leitbild der doppelten Innenentwicklung. Danach soll eine innerstädtische Verdichtung nur dort und dann stattfinden, wenn gleichzeitig die Freiraumversorgung und -nutzbarkeit erhalten und verbessert wird und die Städte als Wohnstandort attraktiv bleiben.

Für die Freiraumversorgung gelten seit langem Richtwerte, wie sie bereits im geltenden Hamburger Landschaftsprogramm (1997, S. 183) angegeben wurden. Wohnungsnah, mit Fußwegentfernung bis 500 m, sollen mindestens 1 Hektar große Parkanlagen in der Größenordnung von 6 m² pro Einwohner zur Verfügung stehen. Siedlungsnah, mit Fußwegentfernung bis 1000 m, soll dieser Wert 7 m² Parkanlagenfläche pro Einwohner betragen. Ähnliche Orientierungswerte veröffentlichte der Deutsche Rat für Landespflege (2006, S. 34) in seiner Abhandlung zu Freiraumqualitäten in der zukünftigen Stadtentwicklung.

Bereits jetzt sind weite Bereiche der dicht besiedelten Hamburger Innenstadt mit Grünanlagen unterversorgt. In diesen "Entwicklungsbereichen Naturhaushalt" soll nach den Vorgaben des Landschaftsprogramms die Grünversorgung verbessert werden und eine bauliche Verdichtung unterbleiben.

In der gegenwärtigen Diskussion zur Stadtentwicklung findet eine ausreichende Grünversorgung der Bevölkerung kaum noch Beachtung. Selbst in erheblich mit Grünflächen unterversorgten Stadtteilen, wie etwa dem Eimsbütteler Kerngebiet, wird der Grün- und Freiflächenverbrauch ohne Rücksicht auf die Lebensqualität der Bewohner fortgesetzt.

2013-06-13

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